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Schnittstelle „Queer & Migration“ in Schule und Jugendarbeit

Am 1. März 2023 startete der Verein Niedersächsischer Bildungsinitiativen (VNB e.V.) sein neues Projekt Sich que(e)r stellen: im Dialog an der Schnittstelle „Queer & Migration“. Im Projekt werden Materialien für Schule und Jugendarbeit entwickelt, die sexuelle und geschlechtliche Vielfalt jenseits aktueller Identitätspolitik verdeutlichen und dabei den Kolonialismus als Motor zur Durchsetzung westlich/christlicher Ablehnung von (Homo-)Sexualität ausleuchten. In Schule u. Ausbil­dung haben aktuell 39 % der Jugendlichen einen Migrationshintergrund. Lehrpläne begegnen dieser Vielfalt bisher kaum durch das wertschätzende Aufgreifen von Kultur, Geschichte und Praxis der Herkunftsländer, wenn sexuelle u. geschlecht­liche Vielfalt anders gelebt werden als im Rahmen einer Identitätspolitik westlicher Prägung. Diese Lücke wird das Projekt schließen und dabei das Verständnis für Unterschiede und Diskriminierungen sowohl bei Menschen mit Migrationsge­schichte als auch LSBTIQ* vertiefen. Im Handlungsfeld Schule und Jugendarbeit bietet sich dabei der beste Ansatz, weil die dort Tätigen sowohl mit den “Spannungen” konfrontiert als auch aufgefordert sind, Gewaltfreiheit und die Akzeptanz diverser Vorstellungen vom gelingenden Leben im Rahmen der Werte unserer Verfassung zu vermitteln.

Weitergehende Informationen:

Ausgangsbasis des zu erstellenden Materials ist die Ausstellung “Sexualitäten und Geschlechter im Spiegel” (SuGiS), die seit 2022 in 12 Städten gastierte. Sie thematisiert einerseits die historischen Veränderungen, die die Einordnung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Geschichte Europas erfahren hat. Andererseits stellt sie ethnographische Beispiele vom Umgang mit Sexualität u. Geschlechtern jenseits von Frau und Mann vor. Dazu kommt, den Einfluss des Kolonialismus auf außereuropäische Vorstellungen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt zu zeigen. Deutlich wird so der historische Beitrag Europas an der aktuellen Ablehnung von LSBTIQ* in einigen Ländern. Der VNB stellt sich damit gegen eine Sicht, die ein liberales, weißes, wertschätzendes ‚Wir‘ gegenüber queerfeindlichen, nicht-weißen ‚Anderen‘ außerhalb von Europa konstruiert. Gefördert wird stattdessen durch die Wertschätzung anderer Kulturen der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft.

Neben der Förderung des Dialogs unter allen Jugendlichen wird so gleichzeitig die Selbstfindung queerer Jugendlicher unterstützt werden, insbesondere wenn sie selbst einen Migrationshintergrund haben – oder evangelikalen Familien entstammen. Oft erleben diese weder vorbehaltlose Aufnahme bei anderen LSBTIQ* noch in ihrem Familienumfeld. Entsprechend dringend ist es, in Schule und Jugendarbeit einen Dialog zu ermöglichen. Annahmen von “Rückständigkeit” contra “westlicher Dekadenz” sollen so unter jungen Menschen kommunizierbar und selbstreflexive Diskussionsprozesse von ‚Teilmilieus‘ aufgebrochen werden. Die Vermittlung der Relativität von z.B. “göttlichen Vorgaben”, Traditionen oder aus der Biologie abgeleiteten Urteilen betrifft dabei alle Jugendlichen, mit und ohne Migrationshintergrund. Gefördert wird damit gleichzeitig die Entwicklung als geschlechtliches Wesen, sei es als “Hetero”, “Asexuelle”, Lesbe, Schwuler, trans* oder inter* Person. Im Ergebnis sollen Jugendliche aktiv für eine Kultur der Akzeptanz u. Wertschätzung sowohl für Migrant*innen als auch für LSBTIQ* eintreten.

Gestaltet wird das Material in unterschiedlichen Versionen mit Bezug auf die jeweiligen Fachdidaktiken, damit es unmittelbar in den Fächern Religion, Werte und Normen, Geschichte, Sozialkunde, Biologie in den Altersstufen 8. und 12. Klasse einsetzbar ist. Den Lehrkräften stehen Lernziele und Materialen für jeweils eine Doppelstunde über das Internet zur Verfügung. Dazu kommt eine Version für die Nutzung in der offenen Jugendarbeit. Zentral für das Projekt ist die Mitwirkung von Lehrkräften und Lehramtsstudierenden, um den Bezug zur Praxis der Schulfächer und Jahrgangstufen sicherzustellen. Die Entwicklung beinhaltet daher einen mehrstufigen Erprobungsprozess, der von kollegialer Beratung bis zum Einsatz im Unterricht als auch in der offenen Jugendarbeit reicht. Im Rahmen von Projektwochen wird dabei auch die Ausstellung zum Einsatz kommen. Außerdem wird das Material mit dem Niedersächsischen Kultusministerium abgestimmt werden, das sich auch finanziell an dem Projekt beteiligt. Zweiter und wesentlicher Zuwendungsgeber ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundesprogramms “Demokratie leben!”. Auf einem Kongress im November 2024 werden die Materialien vorgestellt.

Die Projektleitung liegt bei Thomas Wilde, pädagogischer Mitarbeiter in der Geschäftsstelle Göttingen des VNB, einer Landeseinrichtung der Erwachsenenbildung.

Kontakt:

VNB-Geschäftsstelle Göttingen
Thomas Wilde
Nikolaistr. 1c, 37073 Göttingen
Fon 0176-20127550, thomas.wilde@vnb.de